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Einträge für Montag, 23. November 2020
Eine
Publizistin schrieb einmal über Fotographie: »Die Fotographie
impliziert, dass wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so
hinnehmen, wie die Kamera sie aufnimmt. Dies ist aber das Gegenteil von
Verstehen, das damit beginnt, dass die Welt nicht so hingenommen wird,
wie sie sich dem Betrachter darbietet.« (Susan Sonntag, SZ v.
24./25.5.2014)
Dieser Satz, der aus der Sicht des Kurses für die gesamte Funktion
unserer Sinne gilt, enthält im Keim die Einsicht, dass das, was die
Augen uns zeigen, pure Oberfläche ist und einem tieferen Verstehen der
Dinge entgegensteht. In der Tat geht die Aussage des Kurses, dass es
keine Welt gibt, in diese Richtung und weit darüber hinaus – ein
Verständnis, das umfassend erst am Ende eines tiefgreifenden inneren
Erkenntnisprozesses stehen kann. Raum, Zeit und Körper sind, wie
beispielsweise in Lektion 14 und 15 ausgeführt wird, nicht konkret
vorhanden, sondern ein projizierter Geisteszustand oder, anders
ausgedrückt, Gedanken, die in Form von Bildern erscheinen (Ü-I.15).
Anders als wir vielleicht meinen, ist uns dieses Phänomen sehr wohl
vertraut – aus unseren nächtlichen Träumen. Denn nichts anderes ist das
Wesen des Traums: Gedanken, die in Form von realistischen Bildern
erscheinen.
Auch wenn wir die Aussage des Kurses, dass die Welt unser kollektiver
und individueller Traum ist, vielleicht intellektuell als interessantes
Gedankenspiel akzeptieren, so zeigen die Wahrnehmungen und Emotionen,
die wir im Alltag im Hinblick auf Menschen, Ereignisse und uns selbst
haben, doch überwiegend, wie wenig wir das glauben können bzw. wollen.
Es gibt eine überwältigende Erfahrung des Hierseins, die uns im Griff
hat. Aus der Sicht des Kurses investieren wir unbewusst in sie
(T-20.VIII.7). Es ist, als würde etwas in uns sagen: »Nimm mir nicht
meinen Traum, in dem ich die tragische oder erfolgreiche Heldin/der Held
bin und mich auskenne. Es ist mein Traum. Wage nicht, ihn zu stören.«
Der Traum wird uns auch nicht genommen, sondern – vorausgesetzt, wir
stimmen zu – in eine Schule verwandelt, in der wir in vielfältigsten
Formen die eine Lektion lernen, dass es keinen Frieden außer dem Frieden
Gottes gibt, und dieser ist bereits in
uns da und unabhängig vom Äußeren. Unsere Investition in den Traum
hindert uns, das zu erkennen. Diese Investition in den Traum des Ego
erleben wir als Körper, sprich als Mensch. Wir erleben sie an unseren in
der menschlichen Perspektive angesiedelten Geschichten, Erklärungen,
Urteilen, Emotionen und Empfindungen, lustvoll oder schmerzvoll. Auch in
Phasen, die wir als problematisch und schmerzhaft beklagen, gibt
es irgendwo eine tief vergrabene Loyalität dem Traum gegenüber, einen
unmerklichen Hauch von Triumph und Rechthaben hinter der scheinbaren
Ohnmacht. Aus der menschlichen Perspektive ist das nicht zu verstehen.
Es ergibt Sinn, wenn wir begreifen, dass Lust und Schmerz (Euphorie und
Depression) die beiden Komponenten des Selbstbildes der Besonderheit
sind, das im Zentrum unseres Traums steht. Sie wechseln einander
permanent ab, manchmal sekündlich. Sie dienen demselben Zweck und sind
daher dasselbe: Sie machen das besondere Selbst wahr und definieren uns
als bedürftige Körper, in ständiger Unruhe und Konflikt, ohne Chance, je
konstanten Frieden zu finden.
Wie im Kurs gleich zu Anfang gesagt wird (T-2.IV3:10-11), ist es
weder sinnvoll noch notwendig, den Körper und unsere schwierigen
Beziehungserfahrungen in der Welt zu verleugnen. Ganz im Gegenteil. Wie
könnte das, was aus der Quelle des Ego stammt, nicht schwierig sein, ist
es doch gemacht als Zeugnis für Angst in allen ihren Spielarten: von
Hass über Euphorie bis hin zur Vergänglichkeit? Bei aller gebotenen
Bodenhaftung und Ehrlichkeit in dieser Hinsicht ist es jedoch zwingend
notwendig, über das hinauszugehen, was die Sinne zeigen und es als Weg
der Erkenntnis zu nutzen. Die kleine Bereitwilligkeit im Alltag könnte
heißen: »Lass mich erkennen, dass nicht der Traum des Ego mich unfrei
macht, sondern meine fortgesetzte Investition, seinen schmerzhaften Seiten zu entrinnen und seinen Heilsversprechen zu glauben.«
Diese unbewusste Bitte hat den Kurs in unser Leben gebracht. Nun ist
es wichtig, den Kurs nicht in den Dienst fortgesetzter Illusionen von
einem schöneren Traum und einem glücklicheren Traumselbst zu stellen,
sondern unsere Illusionen durch den Kurs stören zu lassen. Frieden,
Größe und Unschuld sind Aspekte des Geistes, unerschütterbar, voll und
ganz da, hinter all unseren Träumen. Wir können sie nicht erjagen,
anderen entreißen, imitieren oder ungeduldig herbeimeditieren. Sie sind
da und warten auf unsere Einladung. In den Augenblicken, in denen wir
die Investition fallen lassen, wie die Dinge im Traum zu sein haben,
damit wir glücklich sein können, und stattdessen unseren Traum als
unseren speziellen Weg aus dem Traum akzeptieren, sehen wir die
Dinge in einem neuen Licht: nicht als Zumutungen des Schicksals oder
Belohnungen des Glücks, sondern schlicht und ergreifend als Mittel zum
alleinigen Zweck des Lernens und der Erkenntnis. Damit entfallen alle
Vergleiche und Rangordnungen. Diese gleichmäßige Sicht auf unser Leben
ist das, was im Kurs ein Wunder genannt wird. Das Wunder ist
nicht eine spektakuläre Wendung im Äußeren, es ist auch kein
euphorischer Zustand im Innern. Es ist die Sicht auf unser Leben als Weg
zum Frieden, indem wir Illusionen durchdringen.
Was bedeuten solche Überlegungen für unser Dasein hier? Sobald wir
bei dem stehen bleiben, was unsere Sinne uns zeigen, haben wir Angst –
Kampf, Verurteilung, Vergleich und Ärger – eingeladen und übersehen,
dass der konstruktive Zweck unseres scheinbaren Hierseins darin besteht,
uns nicht zu Zeugen der Schuld zu machen. Für Schuld Zeugnis
abzulegen ist in der Tat die allergrößte Versuchung in der Welt, denn
dafür wurde die Welt gemacht. Es ist nicht möglich, mit allen Menschen
dieselben Wege, Ansichten, Werte, Ziele oder dasselbe Verhalten zu
teilen. Es ist auch nicht notwendig. Die Welt ist als Traum des
Unterschieds gemacht, und Unterschiede in der Form zu verleugnen ergibt
wenig Sinn. Es gibt indessen ein Anliegen im Leben eines jeden, das weit
über die Welt und den Körper hinausweist: die Heilung des Geistes von
dem quälenden Irrtum, er sei auf ewig zur Schuld und Unwürdigkeit
verdammt. In diesem unbewussten Anliegen sind wir alle verbunden. Diesen
Ton hinter jeder Art von Verhalten sollten wir – um unserer eigenen
Freiheit willen – zunehmend besser hören und in niemandem verstärken,
selbst wenn wir im Verhalten ein Nein setzen. So wird der Körper zu
einem Kommunikationsmittel im Dienste der Befreiung.
https://www.greuthof.de/rundbrief.php?titel=Der%20Weg%20aus%20dem%20Traum
Foto: Kathy Stuppi
Regina Spolsino fürs Teilen!
Zum Schluss möchte ich ein Gebet von Etty Hillesum zitieren, das in seiner Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit den Geist echter Spiritualität zum Ausdruck bringt: »Du wirst wohl auch karge Zeiten in mir erleben, mein Gott, in denen mein Glaube dich nicht so kräftig nährt, aber glaube mir, ich werde weiter für dich wirken und dir treu bleiben und dich nicht aus meinem Innern verjagen.« (Das denkende Herz, S. 150). Das ist die Bedeutung von Spiritualität.
https://www.greuthof.de/rundbriefe.php
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